Geehrter Graf,
Ihr haltet meinen hundertsten Brief in Euren gnädigen Händen.
Und doch ist’s erst der erste. So jungfräulich, die feuchte Tinte
auf blassem Papier.
Fragt nicht nach den neunundneunzig Briefen davor. Zerrissen hab
ich sie, ich ängstlich Ding. Aus Scham, meine unwürdigen Lettern
könnten Eure wachen Augen langweilen.
Sicher wähnt Ihr, Ihr leset das Kritzeln eines Kindes, so unbeholfen
stakst meine Feder über’s Pergament. Und meine Worte wollen nicht
wohlfeil klingen. Ich bitt‘ Euch: tadelt mich nicht. So ist’s doch mein
Herz, dass euch schreibt.
Ach, wie es in meiner jungen Brust pochte, als ich Euren edlen Brief
in meinen zitternden Händen hielt. Und Eure offenen Worte! Noch nie
war’s mir vergönnt, solch anmutige Zeilen zu lesen. Doch gelten sie
wirklich mir, einer einfachen Magd? Was kann ICH euch bieten?
Oh, ich fleh‘ Euch an, lasst ab von mir und stürzt Euch nicht ins Unglück!
Ihr wisst – die Leute reden. Zwar sind meine Nächte nun voller Gedanken
an Euch und in meinen Träumen wag‘ ich’s zu Ende zu denken. Doch bitt‘
ich Euch – denkt nicht an mich und rettet Euren Ruf.
Ich will in Dankbarkeit leiden.
Eure demütige Magd.